Friedensnobelpreis 1921: Hjalmar Branting — Christian Lange

Friedensnobelpreis 1921: Hjalmar Branting — Christian Lange
Friedensnobelpreis 1921: Hjalmar BrantingChristian Lange
 
Die beiden Skandinavier wurden für ihre langjährige Friedensarbeit in Organisationen wie dem Völkerbund oder der Interparlamentarischen Union ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Karl Hjalmar Branting, * Stockholm 23. 11. 1860, ✝ Stockholm 24. 2. 1925; 1889 Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (1907-25 deren Vorsitzender), ab 1896 Abgeordneter im schwedischen Reichstag, 1920-25 Ministerpräsident und 1923-24 schwedischer Delegierter beim Völkerbundsrat.
 
Christian Lous Lange, * Stavanger 17. 9. 1869, ✝ Oslo 11. 12. 1938; 1900-09 Sekretär des Nobelkomitees in Oslo, 1909-33 Generalsekretär der Interparlamentarischen Union, 1920-37 norwegischer Vertreter beim Völkerbund, 1934-38 Mitglied des Nobelkomitees.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Christian Lange stammt aus Stavanger, der Hafenstadt im äußersten Südwesten Norwegens, die durch Schifffahrt und Handel mit vielen Ländern der Erde verbunden ist. In einer solchen weltoffenen Stadt herrscht meist eine andere Atmosphäre als im Binnenland. Man ist daran interessiert, dass der Frieden bewahrt wird, und sei es auch nur aus dem Grund, weil Kriege dem freien Handel schaden könnten. Lange reiste in seiner Jugend viel in Europa umher, studierte Englisch, Französisch und Geschichte. Nach dem Studium war er zunächst Lehrer, doch dann kam er zur Nobelstiftung, war Sekretär des Osloer Nobelkomitees, baute die 1904 gegründete Bibliothek des norwegischen Nobelinstituts auf und blieb auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt als Berater und Redner anlässlich der Preisverleihungen mit der Stiftung eng verbunden.
 
Im Dezember 1921, als ihm gemeinsam mit dem Schweden Hjalmar Branting selbst der Friedensnobelpreis verliehen wurde, hatte sich Christian Lange als Pazifist und vor allem als Experte für die Geschichte der Friedensbewegung einen Namen gemacht. Der erste Band seiner »Histoire de l'internationalisme« (französisch; Geschichte des Internationalismus) behandelt alle Aspekte dieses Themas von der Antike bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Vom zweiten 1954 erschienenen Band konnte er vor seinem Tod noch die einleitenden Kapitel verfassen, die übrigen stammen aus der Feder August Schous, des Direktors des norwegischen Nobelinstituts. Die Liste der Friedensmissionen, an der Lange bis 1921 beteiligt war, ist lang und reicht von der Teilnahme als Delegierter an der zweiten Haager Friedenskonferenz 1907 über die Gründung einer Zentralorganisation für dauernden Frieden bis zu der Aufgabe, als »Spezialkorrespondent« der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden über die Situation in Kriegsgebieten zu berichten.
 
 Völkerverständigung durch Volksvertreter
 
Mit einer Mischung aus diplomatischem Geschick und persönlicher Ausstrahlung widmete sich der norwegische Historiker nach der Gründung des Völkerbunds seinen Aufgaben in den Organen der Staatengemeinschaft, etwa in den Ausschüssen, die sich mit der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung beschäftigten. Während die Geschichte des Völkerbunds 1946 zu Ende ging, dient eine andere Gemeinschaft, die Christian Lange mehr als zwei Jahrzehnte lang als Generalsekretär prägte, bis heute der Völkerverständigung: die bereits 1888 in Paris gegründete Interparlamentarische Union (IPU). Das weltweite parlamentarische Forum, in dem inzwischen über 130 Länder vertreten sind, sieht seine wichtigsten Ziele darin, die demokratischen Institutionen zu stärken, den Frieden und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern sowie die Achtung der Menschenrechte zu fördern. Dass sich die IPU auch heute noch um die Konfliktverhütung verdient machen kann, verdankt sie in erster Linie Christian Lange. Als das Büro der damals in Brüssel (seit 1921 in Genf) beheimateten Organisation im Ersten Weltkrieg nach der Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen geschlossen werden musste, richtete Lange das Büro in seinem Haus in Oslo ein. Und als die IPU nicht über ihr Bankguthaben in Belgien verfügen konnte und der finanzielle Zusammenbruch drohte, gelang es Lange, sie durch Zuschüsse von der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden zu retten.
 
 Früchte der Neutralität
 
Das norwegische Asyl der IPU war möglich, weil die skandinavischen Staaten im Ersten Weltkrieg neutral blieben und daher »Ruhe im Norden« herrschte. Zu den entschiedensten Befürwortern der Neutralität gehörte seinerzeit der zweite Friedensnobelpreisträger des Jahres 1921. Die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Liberalen, in der Branting ein Ministeramt innehatte, ließ sich auch durch eine eindeutige Aufforderung der USA zum Kriegseintritt nicht von ihrer Neutralität abbringen. Vielmehr versuchte sie, im vorletzten Kriegsjahr in Schweden eine sozialistische Friedenskonferenz zu veranstalten, was jedoch misslang, denn die Genossen in den kriegsführenden Ländern waren inzwischen von der pazifistischen in die militärische Richtung umgeschwenkt.
 
Wie ein roter Faden zieht sich der feste Wille, Konflikte friedlich beizulegen, durch Brantings Leben. 1905, als die Norweger einseitig die Union mit Schweden aufkündigten, gehörte der Sozialdemokrat zu denen, die verhindern konnten, dass schwedische Revanchisten die Einheit wieder gewaltsam herstellten. Auf ähnliche Weise gelang es ihm nach dem Ersten Weltkrieg, den Konflikt mit Finnland über die Ålandinseln zu lösen. Die Inselgruppe am Eingang des Bottnischen Meerbusens wurde 1921 Finnland zuerkannt, obwohl sich die fast ausnahmslos schwedisch stämmigen Insulaner für den Anschluss an das Königreich Schweden ausgesprochen hatten. Mithilfe des Völkerbunds als Vermittler konnte schließlich eine Lösung gefunden werden, die den Bewohnern der Ålandinseln weitgehende Selbstständigkeit garantierte, die Inselgruppe aber bei Finnland beließ.
 
Die Beilegung des Ålandkonflikts war die Leistung, für die Hjalmar Branting mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. In Schweden selbst ist er mehr als der Mann bekannt, der zu den Mitbegründern der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gehörte und diese in erstaunlich kurzer Zeit zur führenden Kraft innerhalb der schwedischen Parteienlandschaft machte. Bemerkenswert ist auch, wie konsequent der »Vater der schwedischen Sozialdemokratie« seinen Beruf als Astronom aufgab, um sich ganz den politischen Aufgaben widmen zu können. Im Spannungsfeld zwischen Kommunismus und Sozialismus fand er einen neuen Weg und setzte bereits während der Koalition mit den Liberalen und ab 1920 mit den ersten rein sozialdemokratischen Regierungen entscheidende Reformen wie das allgemeine Wahlrecht für Frauen durch.
 
Die über Jahrzehnte hinweg zielstrebig von den sozialdemokratischen Regierungen betriebene Friedens- und Neutralitätspolitik zahlte sich für Schweden aus. Von den »Früchten des Sieges«, die Norman Lane Angell (Nobelpreis 1933) im Jahr 1921 beschrieb, entfiel ein großer Teil auf das nordische Königreich, obwohl es gar nicht zu den militärischen Siegern des Ersten Weltkriegs gehörte. Und im Nachhinein betrachtet bestätigt dieses Beispiel Angells These eindrucksvoll: Kriege lohnen sich nicht. Man sollte folglich keine führen.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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